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@ Michael Meyen
2025-05-03 19:02:02Mein Thema kommt heute aus dem Kalender und hat gleich noch zu einem Video geführt. Internationaler Tag der Pressefreiheit – wie jedes Jahr am 3. Mai. Das Publikum liebt Ranglisten. Shanghai für die Hochschulen, der Best Country Report für die Lebensqualität und Freedom House für die Freiheit in der Welt. Es gibt Aufsteiger und Absteiger und Jahr für Jahr eine Meldung, über die sich trefflich diskutieren lässt – vor allem in Europa und Nordamerika, wo die Sieger wohnen. Man muss die Statistik dafür nicht einmal fälschen, sondern einfach nur das messen, was man selbst am besten kann, und alles weglassen, was das Bild trüben könnte. Bei den „Reportern ohne Grenzen“ sorgen dafür die Geldgeber und Fragen, die sich zum Beispiel in Afrika oder in Südostasien gar nicht stellen. Ergebnis: Die Medien sind bei uns ziemlich frei, auch wenn Leser dieser Seite wissen, dass das so nicht stimmt.
Okay: Deutschland hat es wieder nicht ganz geschafft in den grünen Bereich – dorthin, wo die skandinavischen Länder stehen, die Niederlande oder Irland. Deutschland gehört auch nicht mehr zu den Top Ten wie noch 2024, aber es war knapp. Platz elf. Zum Glück nennen die „Reporter ohne Grenzen“ die Schuldigen. Zensur? Gott bewahre. Das Ausblenden, Diffamieren, Verleumden von allen, die laut Fragen stellen zum Regierungskurs? Doch nicht bei uns. Dieses Land würde auch in Sachen Pressefreiheit längst Weltmeister sein, wenn da nicht ein paar Unverbesserliche wären, die auf Journalisten ungefähr so reagieren wie ein Stier auf ein rotes Tuch. Glaubt man den „Reportern ohne Grenzen“, dann sind Demos in Deutschland ein gefährlicher Ort für alle, die dort mit Kamera, Mikro oder Presseschild auftauchen. 75 „physische Angriffe“ 2024, davon die meisten in Berlin und beim Thema Nahost, wobei es zwei Bild-Reporter allein auf 29 Einträge gebracht haben (Iman Sefati und seine Fotografin Yalcin Askin).
Vorweg: Jede Attacke ist eine zu viel. Gleich danach kommt aber der Verdacht, dass das ganz gut passt, weil die „Reporter ohne Grenzen“ so eine „zunehmende Pressefeindlichkeit“ beklagen können und „ein verengtes Verständnis von Pressefreiheit“. Zitat: „Denn viele Bürger*innen sehen Berichterstattende, die nicht ihrem eigenen politischen Spektrum entstammen, mittlerweile als Gegner an.“
Sorry für die Genderei. Ich habe das so gelassen, weil es vermutlich bereits damit anfängt. Mit einem „verengten Verständnis“ auch und gerade bei der Sprache. Lassen Sie uns das in drei Schritten angehen. Nummer eins: Wir schauen auf den Kellner, der da jedes Jahr zum Welttag der Pressefreiheit eine Quittung ausstellt. Nummer zwei: Wir zählen nach. Und Nummer drei: Wir schlagen all das drauf, was in der Rechnung fehlt.
Die „Reporter ohne Grenzen“ sitzen in Paris und sind damit auf den ersten Blick weniger verdächtig als der US-Thinktank „Freedom House“, der bis 2017 jedes Jahr eine Konkurrenzliste veröffentlicht hat und einen Großteil seiner Gelder und Sicherheiten direkt oder indirekt aus dem Staatshaushalt in Washington bezieht. Der Volksmund weiß, was das Brot aus den Liedern macht, die draußen gesungen werden. Bei den „Reportern ohne Grenzen“ kommt das Geld aus ganz ähnlich Töpfen – 2023 zu drei Vierteln von der EU, von staatlichen Behörden und von den großen Stiftungen. Ford, Luminate (Geldbörse von Ebay-Gründer Pierre Omidyar, der auch bei den Faktencheckern mitspielt), Open Society Foundations. Der deutsche Steuerzahler ist über ein Ministerium (Entwicklungshilfe) und den Berliner Senat jeweils mit einer Viertelmillion Euro dabei. Dass die Niederlande und Schweden mitspielen, erklärt sich bei einem Blick auf die Ergebnisse (in diesem Jahr: Platz 3 und 4). Besser kann man nicht investieren in Werbung für das eigene Land.
Diese Platzierungen sind gewissermaßen ein Selbstläufer, weil all das in die Wertung kommt, was der Westen gut findet – die formale Trennung von Regierung und Redaktionen zum Beispiel. Andersherum: Abzüge gibt es überall da, wo der Staat, Parteien oder Politiker selbst Medien betreiben. In Uganda zum Beispiel, Platz 143, gibt es kaum Werbetreibende, die ein TV-Programm finanzieren könnten, und nur ein kleines Publikum, das sich ein Zeitungsabo leisten kann und will. Sonntags drängen sich die Menschen dort vor kleinen Hütten mit großen Bildschirmen, um ihren Lieblingen aus der Premier League zuzujubeln und vielleicht einen Wettgewinn einzustreichen, der sie über die Woche trägt. Auf dem Land gehören die Radiostationen in aller Regel lokalen Größen. Kirche, Politik, Wirtschaft. Ich habe dort Interviews geführt und gelernt: Über „Pressefreiheit“ und Informationsqualität sagt das alles wenig. Die Menschen in Uganda wissen sehr genau, wer jeweils zu ihnen spricht, und machen sich ihren Reim darauf. Ein anderer Kriterienkatalog könnte daraus ein Qualitätsmerkmal machen. Während Besitz- und damit Machtverhältnisse im Westen hinter Nebelkerzen versteckt werden (Objektivität, Unabhängigkeit, Neutralität), herrscht in Uganda Transparenz.
Neben dem „politischen Kontext“ haben die „Reporter ohne Grenzen“ vier weitere Blöcke in ihrem Punktekatalog. Gesetze, Wirtschaft, Gesellschaft, Sicherheit. Die Fragen decken das ab, was bei uns Standard ist. Dürfen sich Journalisten gewerkschaftlich organisieren? Werden sie bestochen? Können Nachrichtenmedien finanziell überleben? Werden Karikaturen toleriert? Ich will hier nicht zu sehr auf Uganda herumreiten. Nur: Der Beruf wird dort völlig anders gesehen als hier. Es gibt nur eine kleine vierstellige Zahl an Journalisten. 1000, vielleicht 1500. Die meisten sind jung, weil die Redaktionen als Sprungbrett gesehen werden zu einem wirklich lukrativen Job in der Verwaltung, in den Unternehmen, in der Politik. Wer zu einer Pressekonferenz fährt, erwartet dort einen Umschlag. Offiziell: Anreisepauschale. Inoffiziell der Preis für einen wohlwollenden Bericht. Die „Reporter ohne Grenzen“ strafen Uganda folglich ab. Angriffe auf Journalisten (oft von Sicherheitsleuten), wenig Schutz vor Gericht, wenig Achtung vor dem Beruf. Platz 143 halt.
Und Deutschland? Die Demos wie gesagt und Leute, die die Dinge einfach falsch sehen. Ein „verengtes Verständnis von Pressefreiheit“. Außerdem sagen die „Reporter ohne Grenzen“: Wir tun zu wenig gegen „Hassrede und Desinformation“. Der Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot ist offenbar nicht mehr eingeflossen in diesen Bericht. Dort heißt es:
Gezielte Einflussnahme auf Wahlen sowie inzwischen alltägliche Desinformation und Fake News sind ernste Bedrohungen für unsere Demokratie, ihre Institutionen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können.
Schon vorab hatten die „Reporter ohne Grenzen“ von „einem stark verengten Meinungskorridor bei der Arbeit zu Israel und Palästina“ berichtet. Selbst alte Hasen haben in dieser Befragung gesagt, dass sie noch nie einen solchen Druck erlebt hätten – vor allem dann, wenn es um die israelische Kriegsführung geht, um die Folgen für die Bevölkerung in Gaza und um das, was in Deutschland zu diesem Thema passiert. Ich verlinke hier die Münchner Rede von Andreas Zumach, gehalten im November 2018, wo all das schon Thema war.
Und sonst? Corona, Ukraine, Klima und damit Energiewende? Kontokündigungen? Gerichtsurteile, die selbst es bis in die Weltpresse schafften (im Bild: The Economist vom 16. April 2025) und dort Unbehagen auslösten? Eine Cancel Culture, die Sprecher aus der Öffentlichkeit verbannt, die sich gegen die herrschende Ideologie und den Regierungskurs stellen?
Alles kein Thema – jedenfalls nicht für die Experten, die gefragt werden (Journalisten, Forscher, Akademiker, Menschenrechtsspezialisten; mithin Menschen, die in irgendeiner Form von Staat oder Konzernen abhängen). Die konzernfreien oder neuen Medien senden für die „Reporter ohne Grenzen“ offenbar jenseits von Gut und Böse. Und dass die Regierung Fernsehen, Radio und Presse nicht unbedingt selbst betreiben muss wie in Uganda, um ihre Sicht der Dinge flächendeckend zu verbreiten, scheint dort außerhalb jeder Vorstellungskraft zu liegen. Anders ist nicht zu erklären, dass im Bericht zwar ein paar öffentlich-rechtliche Skandälchen auftauchen und der Stellenabbau bei der Südwestdeutschen Medienholding, aber nichts zu lesen ist über die Aufrüstung der Medienapparate in Ministerien, Parteien, Unternehmen und über den Druck, der davon auf Journalisten ausgeht, die zwar keinen Umschlag bekommen, wenn sie ordentlich berichten, aber sicher ein wenig Exklusives, wahrscheinlich eine Beförderung und vielleicht sogar ein Ticket für den Sprung auf die andere, besser entlohnte Seite. Bis es soweit ist, melden sie einfach, dass mit der Medienfreiheit alles okay ist, wenn es da nicht diese Chaoten auf der Straße geben würde und ein paar Unverbesserliche mit einem „verengten Verständnis von Pressefreiheit“. Sonst müsste man sich möglicherweise aufmachen und nach den Ursachen für den Unmut fragen.