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@ Monika Wolff
2025-05-28 14:55:40“Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben.”
Wo bleibt die Rettung?
Wenn man bei einem Notfall auf den Rettungswagen wartet, dann fühlen sich Minuten wie Stunden an. Die Nerven sind bis zum Anschlag gespannt, alle Sinne sind geschärft.
Die Natur hat das so eingerichtet, damit man aufmerksam und gut geschützt ist vor weiteren Verletzungen.
Bei Trauma ist das auch so, nur dass dieser Zustand gefühlt ein halbes Leben andauert. Das klingt brutal, ist aber in etwa so. Da ein menschlicher Körper das nicht gut aushalten kann, sendet er dem Gehirn die Information: “ Bitte mach etwas zur Entlastung, ich kann mit dem Dauerstress nicht gut umgehen. Ich habe ständig das Gefühl, dass etwas Schlimmes passiert und ich mich verteidigen muss.“ Das Gehirn überlegt sich dann eine Lösung, um auch selber endlich wieder Ruhe zu haben. In der Regel wird der traumatische Inhalt verdrängt, vergessen, abgewandelt, abgeschwächt oder als Schwarz-Weiß-Film wieder gegeben, also ohne Gefühl (re)präsentiert. Man kann dann von den traumatischen Erlebnissen erzählen, ohne ein einziges Gefühl zu haben. Das wirkt souverän, als habe man das Trauma verarbeitet, das Gegenteil ist der Fall. Manche Menschen reden sogar über Gefühle, empfinden diese aber nicht. Gefühle werden imitiert oder inszeniert. Wenn man selber fühlen kann, spürt man diesen feinen Unterschied als Zuhörer sofort. Jedenfalls ist alles das Traumafolge bzw. die Lösung, die uns das Gehirn nach Trauma anbietet. Entweder ist der ganze Inhalt samt Emotion weg, oder der Inhalt ist noch da, aber die Emotion dazu fehlt. Es gibt Menschen, die so tief traumatisiert sind, dass sie eine ganz andere Geschichte von sich selbst erzählen, als die, die eigentlich stattgefunden hat. Ich weiß, dass das gruselig klingt. Aber das ist eine Realität. Und es ist vermutlich gut so. Die Natur macht alles, um ein Menschenleben zu retten, und wenn es um den Preis des psychologischen Vergessens ist. Manche Erinnerungen sind offensichtlich nicht mit dem Leben vereinbar, deswegen werden sie für immer abgespalten. Mittlerweile habe ich persönlich viel Respekt vor Menschen, die sich an nichts mehr „erinnern“ können, da ich gelernt habe, dass sie am schlimmsten traumatisiert sind. Diese Einstellung hatte ich nicht immer.
Jedenfalls verhält es sich nach meiner Beobachtung und auch nach meinen eigenen Erfahrungen so, dass man sich ganz oft erst dann vollständig UND in Farbe an traumatische Erlebnisse erinnert, wenn die Zeit dafür reif ist. Man könnte auch sagen, wenn die Seele bereit ist, die verlorenen Seelenanteile wieder zuzulassen. Sie sind nie weg, denn eine unsichtbare Schnur verbindet uns immer mit dem, was passiert ist. Also, wenn dieser Moment, in dem Du Deine Seelenanteile wieder begrüßen darfst, kommt, dann ist das wie ein riesiges Geschenk, auch wenn sich das zu Beginn nicht so anfühlt. Es fühlt sich dann eher so an, wie wenn man auf den Rettungswagen wartet, aber es ist definitiv ein Geschenk, genau wie eine Geburt ein Geschenk ist. Und eine Geburt ist ja auch nicht immer leicht.
Also, je mehr Gefühl beim Erinnern von traumatischen Inhalten spürbar ist, desto besser kann Traumabearbeitung gelingen. (Heiße den Schmerz willkommen, wenn er in Dein Leben kommt.) Ich persönlich hatte lange Wehen, bevor mein Trauma dann schlagartig aktiviert wurde. Das war, bildlich gesprochen, eine Hausgeburt, die ich allein vollbracht habe, weil der Rettungswagen dermaßen Verspätung hatte. Aber das Kind hat sich dennoch gut entwickelt. Ich habe zuvor lange von meinem Trauma „nur“ geredet. Ich habe rationalisiert, wie man in der Fachsprache sagt. Mir war meine frühe Verletzung bewusst, aber ich hatte kein Gefühl zu dem, was ich erlebt hatte. Als das Gefühl da war, verstand ich, dass es sinnvoll war, es solange nicht gefühlt haben zu können, denn es war ein überwältigender Schmerz. Die Natur macht instinktiv ein gutes Timing für die Wiederkehr des Gefühls. Sie sucht sich eine Zeit im Leben aus, wo man einen guten Stand hat, stabil ist, eine Umgebung hat, die einen zumindest für eine Weile halten und auffangen kann. Denn die Natur möchte schließlich, dass man auch die Wiederkehr des Gefühls überlebt.
Genauso schmerzhaft wie der Verlust des Gefühls war, genauso schmerzhaft ist seine Wiederkehr.
Der Schmerz ist quasi der Erste und der Letzte. Er macht das Licht aus, und später macht er das Licht oder den Farbfilm wieder an. Der Schmerz ist viel besser als sein Ruf.
Ich erzähle hier lediglich meine Erfahrungen und Beobachtungen, auch wenn ich allgemein formuliere. Das kann sich bei anderen Menschen auch anders verhalten. Aber ich finde den Erfahrungsaustausch über dieses Thema wichtig, WEIL es unterschiedlich sein kann und jeder auf einem anderen Level von Traumabearbeitung steht. Ein Problem bei Traumabearbeitung ist, dass jeder ein anderes Trauma erlebt hat, dass jeder einen anderen Nährboden hatte, auf den das Trauma fiel, und dass es verschiedene Stadien gibt, bis es dann endlich und hoffentlich soweit ist, dass das Trauma wieder vollständig in die eigene Psyche integriert werden kann und man wieder „ganz“ bzw. „neu und etwas anders“ ist. Und meine Erfahrung ist, dass man auf das Tempo dieses Prozesses leider keinen Einfluss hat, auch wenn es hierzu, wie ich finde, viele falsche Verkehrsdurchsagen gibt. Die Natur ist da verschlossen wie eine Auster, sie lässt sich nicht ins Handwerk pfuschen. Als ich das verstand, hat sich mein Wunsch, Menschen zu helfen, schlagartig verändert. Ich verstand, dass ICH das nicht machen kann, dass die Natur das selber macht. Und das ist eine gute Nachricht, denn die Natur kann das am besten und ist ein super zuverlässiger Partner.
Wir brauchen keinen Rettungswagen. Der Schmerz ist die Rettung.
Das Thema „Trauma“ birgt so viel positiven Erkenntnisgewinn über das Wunder des Lebens.
Aber zurück zum Thema. Wenn man, so wie ich, ein halbes Leben in einem Schwarz-Weiß-Film verbracht hat, dann die Hausgeburt ohne Rettungswagen durchgestanden hat und das Kind irgendwann anfängt, neugierige Fragen zu stellen, dann ist man im Zugzwang. In dieser Situation bin ich heute. Deswegen schreibe ich. Mein neues ICH fragt mich immer öfter, warum ich so viele Dinge tue, die ich eigentlich gar nicht mehr tun will. Kinder fragen einen auch manchmal ganz unverblümt, ob man den Hansi denn lieb hat oder ob man gerne im Büro arbeitet. Wenn man den Hansi nicht lieb hat und nicht gerne im Büro arbeitet, dann muss man schlucken und eine kindgerechte Antwort formulieren. Genauso wenig wie Kinder als kompetenter 20-jähriger auf die Welt kommen, genau so wenig ist man nach geglückter Traumabearbeitung „geheilt“. Es wird nichts schlagartig besser. Das ist auch so eine falsche Verkehrsdurchsage. Man lebt ja noch im alten Leben, was nun Schritt für Schritt verändert werden darf. ABER man ist glückliche Mutter. Mutter sein, ist nicht immer leicht, habe ich mir sagen lassen. Mütter lieben ihre Kinder. Im Idealfall machen sie sich keine Gedanken darüber, was aus ihrem Kind mal werden soll. Sie vertrauen einfach darauf, DASS aus ihrem Kind ein glücklicher Mensch wird und buttern deshalb so viel Liebe in das Kind hinein, wie in den wenigen Jahren, die das Kind ein Kind ist, möglich ist. So ähnlich geht es mir heute auch. Ich bin stolz auf mein neues ICH und lobe es, so oft ich kann. Jede Mutter lobt ihre Butter. Das ist wichtig, denn das Leben bietet ständig Herausforderungen, an denen man bekanntlich wachsen darf. Ich gehe jeden Tag mit meinem „Kind“ spazieren, und wir sehen viel. Wir sehen andere Menschen mit Trauma, wir hören zu, welches Trauma der andere erlebt hat und auf welchem Level er ist. Wir hören das Gefühl heraus, welches mitschwingt. Wir sehen Menschen in ihrem Schwarz-Weiß-Film. Und wir sehen Menschen, die scheinbar mit jeder Situation souverän umgehen können. Am meisten interessieren „uns“ zur Zeit solche Menschen, die ehrlich zugeben, dass sie Wehen haben, dass der Schmerz sich in immer kürzeren Abständen meldet. (Die verlorenen Seelenanteile ziehen an der unsichtbaren Schnur.) Mit diesen Leuten kann ich im Moment am besten. Das hört sich komisch an. Aber ich will damit zum Ausdruck bringen, dass ich mit diesen Menschen mittlerweile am meisten resoniere. Sie sprechen meine Sprache. Sie empfinden Gefühle, und sprechen über diese. Das ist für mich die schönste Sprache.
Wer in diesen Tagen wahrhaftig Schmerz empfindet, und nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern echten üblen Schmerz über die enttäuschte Liebe oder über die Verhältnisse in dieser Welt, der ist mir sympathisch, der ist mir nah. Denn ich weiß, dass so ein fühlender Mensch auch bald eine Niederkunft erleben wird, die ihn verändert, die ihn anders auf diese Welt schauen lässt.
Der Schmerz bringt uns die Verwandlung. Der Schmerz bringt die verlorenen Seelenanteile zurück. Der Schmerz ist der Hüter des Lebens. Der Schmerz bringt Dir Deine volle Sensibilität für andere Menschen zurück. Alles, was Du bei Dir nicht fühlen kannst, kannst Du bei anderen nicht fühlen. Der Schmerz beendet das. Er macht das Licht an und gibt dem Film wieder Farbe.
Heiße den Schmerz willkommen, wenn er in Dein Leben kommt. Tu das, nicht etwa weil Du gern leidest, nein tu das, weil Du Dich liebst, weil Du bewusst darauf achten möchtest, was Dir wirklich gut tut und Freude macht. Ein Mensch oder ein Job, der Dir Schmerz bereitet, den gilt es loszulassen. Und wenn Du Schmerz im Gesicht Deines Gegenübers siehst, dann frage Dich ehrlich, was Dein Anteil daran ist, dass der andere leidet. Wir sind nicht für jedes Leid auf dieser Welt verantwortlich, das möchte ich hier auch betonen. Und die Schuld-Nummer zieht bei mir schon lange nicht mehr. Aber ich nehme immer besser wahr, wenn mein eigenes Verhalten nicht angemessen, nicht authentisch ist, von überholten Glaubensmustern geprägt ist. Ich kann das erkennen und korrigieren. Ich kann das heute selber erkennen, weil der Schmerz mich das gelehrt hat, mich geöffnet hat. Der Schmerz lehrt uns ganz viel. Der Schmerz ist der Hüter des Lebens. Er trifft einen hart, macht aber weich.
Heiße den Schmerz willkommen, denn er ist die Rettung.
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