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@ Die Friedenstaube
2025-04-30 18:47:50Autor: Ulrike Guérot. Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben. Sie finden alle Texte der Friedenstaube und weitere Texte zum Thema Frieden hier.**
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Liebe Freunde und Bekannte,
liebe Friedensbewegte,
liebe Dresdener, Dresden ist ja auch eine kriegsgeplagte Stadt,
dies ist meine dritte Rede auf einer Friedensdemonstration innerhalb von nur gut einem halben Jahr: München im September, München im Februar, Dresden im April. Und der Krieg rückt immer näher! Wer sich den „Operationsplan Deutschland über die zivil-militärische Kooperation als wesentlicher Bestandteil der Kriegsführung“ anschaut, dem kann nur schlecht werden zu sehen, wie weit die Kriegsvorbereitungen schon gediehen sind.
Doch bevor ich darauf eingehe, möchte ich mich als erstes distanzieren von dem wieder einmal erbärmlichen Framing dieser Demo als Querfront oder Schwurblerdemo. Durch dieses Framing wurde diese Demo vom Dresdener Marktplatz auf den Postplatz verwiesen, wurden wir geschmäht und wurde die Stadtverwaltung Dresden dazu gebracht, eine „genehmere“ Demo auf dem Marktplatz zuzulassen! Es wäre schön, wenn wir alle - alle! - solche Framings weglassen würden und uns als Friedensbewegte die Hand reichen! Der Frieden im eigenen Haus ist die Voraussetzung für unsere Friedensarbeit. Der Streit in unserem Haus nutzt nur denen, die den Krieg wollen und uns spalten!
Ich möchte hier noch einmal klarstellen, von welcher Position aus ich hier und heute wiederholt auf einer Bühne spreche: Ich spreche als engagierte Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland. Ich spreche als Europäerin, die lange Jahre in und an dem einstigen Friedensprojekt EU gearbeitet hat. Ich spreche als Enkelin von zwei Großvätern. Der eine ist im Krieg gefallen, der andere kam ohne Beine zurück. Ich spreche als Tochter einer Mutter, die 1945, als 6-Jährige, unter traumatischen Umständen aus Schlesien vertrieben wurde, nach Delitzsch in Sachsen übrigens. Ich spreche als Mutter von zwei Söhnen, 33 und 31 Jahre, von denen ich nicht möchte, dass sie in einen Krieg müssen. Von dieser, und nur dieser Position aus spreche ich heute zu Ihnen und von keiner anderen! Ich bin nicht rechts, ich bin keine Schwurblerin, ich bin nicht radikal, ich bin keine Querfront.
Als Bürgerin wünsche ich mir – nein, verlange ich! – dass die Bundesrepublik Deutschland sich an ihre gesetzlichen Grundlagen und Vertragstexte hält. Das sind namentlich: Die Friedensklausel des Grundgesetzes aus Art. 125 und 126 GG, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgeht. Und der Zwei-plus-Vier-Vertrag, in dem Deutschland 1990 unterschrieben hat, dass es nie an einem bewaffneten Konflikt gegen Russland teilnimmt. Ich schäme mich dafür, dass mein Land dabei ist, vertragsbrüchig zu werden. Ich bitte Friedrich Merz, den designierten Bundeskanzler, keinen Vertragsbruch durch die Lieferung von Taurus-Raketen zu begehen!
Ich bitte ferner darum, dass sich dieses Land an seine didaktischen Vorgaben für Schulen hält, die im immer noch geltenden „Beutelsbacher Konsens“ aus den 1970er Jahren festgelegt wurden. In diesem steht in Artikel I. ein Überwältigungsverbot: „Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern.“ Vor diesem Hintergrund ist es nicht erlaubt, Soldaten oder Gefreite in Schulen zu schicken und für die Bundeswehr zu werben. Vielmehr wäre es geboten, unsere Kinder über Art. 125 & 126 GG und die Friedenspflicht des Landes und seine Geschichte mit Blick auf Russland aufzuklären.
Als Europäerin wünsche ich mir, dass wir die europäische Hymne, Beethovens 9. Sinfonie, ernst nehmen, deren Text da lautet: Alle Menschen werden Brüder. Alle Menschen werden Brüder. Alle! Dazu gehören auch die Russen und natürlich auch die Ukrainer!
Als Europäerin, die in den 1990er Jahren für den großartigen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors gearbeitet hat, Katholik, Sozialist und Gewerkschafter, wünsche ich mir, dass wir das Versprechen, #Europa ist nie wieder Krieg, ernst nehmen. Wir haben es 70 Jahre lang auf diesem Kontinent erzählt. Die Lügen und die Propaganda, mit der jetzt die Kriegsnotwendigkeit gegen Russland herbeigeredet wird, sind unerträglich. Die EU, Friedensnobelpreisträgerin von 2012, ist dabei – oder hat schon – ihr Ansehen in der Welt verloren. Es ist eine politische Tragödie! Neben ihrem Ansehen ist die EU jetzt dabei, das zivilisatorische Erbe Europas zu verspielen, die civilité européenne, wie der französische Historiker und Marxist, Étienne Balibar es nennt.
Ein Element dieses historischen Erbes ist es, dass uns in Europa eint, dass wir über Jahrhunderte alle zugleich Täter und Opfer gewesen sind. Ce que nous partageons, c’est ce que nous étions tous bourreaux et victimes. So schreibt es der französische Literat Laurent Gaudet in seinem europäischen Epos, L’Europe. Une Banquet des Peuples von 2016.
Das heißt, dass niemand in Europa, niemand – auch die Esten nicht! – das Recht hat, vorgängige Traumata, die die baltischen Staaten unbestrittenermaßen mit Stalin-Russland gehabt haben, zu verabsolutieren, auf die gesamte EU zu übertragen, die EU damit zu blockieren und die Politikgestaltung der EU einseitig auf einen Kriegskurs gegen Russland auszurichten. Ich wende mich mit dieser Feststellung direkt an Kaja Kalles, die Hohe Beauftragte für Sicherheits- und Außenpolitik der EU und hoffe, dass sie diese Rede hört und das Epos von Laurent Gaudet liest.
Es gibt keinen gerechten Krieg! Krieg ist immer nur Leid. In Straßburg, dem Sitz des Europäischen Parlaments, steht auf dem Place de la République eine Statue, eine Frau, die Republik. Sie hält in jedem Arm einen Sohn, einen Elsässer und einen Franzosen, die aus dem Krieg kommen. In der Darstellung der Bronzefigur haben die beiden Soldaten-Männer ihre Uniformen schon ausgezogen und werden von Madame la République gehalten und getröstet. An diesem Denkmal sollten sich alle Abgeordnete des Straßburger Europaparlamentes am 9. Mai versammeln. Ich zitiere noch einmal Cicero: Der ungerechteste Friede ist besser als der gerechteste Krieg. Für den Vortrag dieses Zitats eines der größten Staatsdenker des antiken Roms in einer Fernsehsendung bin ich 2022 mit einem Shitstorm überzogen worden. Allein das ist Ausdruck des Verfalls unserer Diskussionskultur in unfassbarem Ausmaß, ganz besonders in Deutschland.
Als Europäerin verlange ich die Überwindung unserer kognitiven Dissonanz. Wenn schon die New York Times am 27. März 2025 ein 27-seitiges Dossier veröffentlicht, das nicht nur belegt, was man eigentlich schon weiß, aber bisher nicht sagen durfte, nämlich, dass der ukrainisch-russische Krieg ein eindeutiger Stellvertreter-Krieg der USA ist, in der die Ukraine auf monströseste Weise instrumentalisiert wurde – was das Dossier der NYT unumwunden zugibt! – wäre es an der Zeit, die eindeutige Schuldzuweisung an Russland für den Krieg zurückzuziehen und die gezielt verbreitete Russophobie in Europa zu beenden. Anstatt dass – wofür es leider viele Verdachtsmomente gibt – die EU die Friedensverhandlungen in Saudi-Arabien nach Strich und Faden torpediert.
Der französische Philosoph Luc Ferry hat vor ein paar Tagen im prime time französischen Fernsehen ganz klar gesagt, dass der Krieg 2014 nach der Instrumentalisierung des Maidan durch die USA von der West-Ukraine ausging, dass Zelensky diesen Krieg wollte und – mit amerikanischer Rückendeckung – provoziert hat, dass Putin nicht Hitler ist und dass die einzigen mit faschistoiden Tendenzen in der ukrainischen Regierung sitzen. Ich wünschte mir, ein solches Statement wäre auch im Deutschen Fernsehen möglich und danke Richard David Precht, dass er, der noch in den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk vorgelassen wird, an dieser Stelle versucht, etwas Vernunft in die Debatte zu bringen.
Auch ist es gerade als Europäerin nicht hinzunehmen, dass russische Diplomaten von den Feierlichkeiten am 8. Mai 2025 ausgeschlossen werden sollen, ausgerechnet 80 Jahre nach Ende des II. Weltkrieges. Nicht nur sind Feierlichkeiten genau dazu da, sich die Hand zu reichen und den Frieden zu feiern. Doch gerade vor dem Hintergrund von 27 Millionen gefallenen sowjetischen Soldaten ist die Zurückweisung der Russen von den Feierlichkeiten geradezu eklatante Geschichtsvergessenheit.
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Der Völkerbund hat 1925 die Frage erörtert, warum der I. Weltkrieg noch so lange gedauert hat, obgleich er militärisch bereits 1916 nach Eröffnung des Zweifrontenkrieges zu Lasten des Deutschen Reiches entschieden war. Wir erinnern uns: Für die Niederlage wurden mit der Dolchstoßlegende die jüdischen, kommunistischen und sozialistischen Pazifisten verantwortlich gemacht. Richtig ist, so der Bericht des Völkerbundes von 1925, dass allein die Rüstungsindustrie dafür gesorgt hat, dass der militärisch eigentlich schon entschiedene Krieg noch zwei weitere Jahre als Materialabnutzungs- und Stellungskrieg weiterbetrieben wurde, nur, damit noch ein bisschen Geld verdient werden konnte. Genauso scheint es heute zu sein. Der Krieg ist militärisch entschieden. Er kann und muss sofort beendet werden, und das passiert lediglich deswegen nicht, weil der Westen seine Niederlage nicht zugeben kann. Hochmut aber kommt vor dem Fall, und es darf nicht sein, dass für europäischen Hochmut jeden Tag rund 2000 ukrainische oder russische Soldaten und viele Zivilisten sterben. Die offenbare europäische Absicht, den Krieg jetzt einzufrieren, nur, um ihn 2029/ 2030 wieder zu entfachen, wenn Europa dann besser aufgerüstet ist, ist nur noch zynisch.
Als Kriegsenkelin von Kriegsversehrten, Tochter einer Flüchtlingsmutter und Mutter von zwei Söhnen, deren französischer Urgroßvater 6 Jahre in deutscher Kriegsgefangenschaft war, wünsche ich mir schließlich und zum Abschluss, dass wir die Kraft haben werden, wenn dieser Wahnsinn, den man den europäischen Bürgern gerade aufbürdet, vorbei sein wird, ein neues europäisches Projekt zu erdenken und zu erbauen, in dem Europa politisch geeint ist und es bleibt, aber dezentral, regional, subsidiär, friedlich und neutral gestaltet wird. Also ein Europa jenseits der Strukturen der EU, das bereit ist, die Pax Americana zu überwinden, aus der NATO auszutreten und der multipolaren Welt seine Hand auszustrecken! Unser Europa ist postimperial, postkolonial, groß, vielfältig und friedfertig!
Ulrike Guérot, Jg. 1964, ist europäische Professorin, Publizistin und Bestsellerautorin. Seit rund 30 Jahren beschäftigt sie sich in europäischen Think Tanks und Universitäten in Paris, Brüssel, London, Washington, New York, Wien und Berlin mit Fragen der europäischen Demokratie sowie mit der Rolle Europas in der Welt. Ulrike Guérot ist seit März 2014 Gründerin und Direktorin des European Democracy Lab e.V., Berlin und initiierte im März 2023 das European Citizens Radio, das auf Spotify zu finden ist. Zuletzt erschien von ihr „Über Halford J. Mackinders Heartland-Theorie, Der geografische Drehpunkt der Geschichte“ (Westend, 2024). Mehr Infos zur Autorin hier.
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