-
@ Philipp Mattheis
2025-04-01 06:23:30„Die Politik ist die Kunst des Möglichen, nicht die Kunst des Idealen.“
Henry Kissinger
Liebe Abonnenten,
in der Welt der Geopolitik gibt es zwei Ideen-Pole. Auf der einen Seite des Spektrums befindet sich die „Realpolitik“. Moralische oder ethische Faktoren spielen hier eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht der pragmatische Nutzen. Als Vertreter dieser Form der Außenpolitik gilt zum Beispiel Henry Kissinger, der 1972 die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zum maoistischen China einfädelte, obwohl sich ideologisch beide Staaten spinnefeind waren. Das Ergebnis war ein Erdbeben der internationalen Ordnung: Die USA entzogen Taiwan den “Alleinvertretungsanspruch” und beendeten offiziell die Beziehungen zu Taipeh. Die Sowjetunion wurde geschwächt, der Vietnamkrieg konnte beendet werden. Aus der Annäherung zwischen Mao und Nixon wuchs “ChinAmerica” - eine enge Verflechtung der beiden größten Volkswirtschaften der Welt.
Am anderen Ende des Spektrums lässt eine „werteorientierte Außenpolitik” ansiedeln, wie sie zuletzt die grüne Außenministerin Annalena Baerbock vertrat oder besser versuchte. Alles, was keine lupenreine liberale Demokratie ist, gehört irgendwie eingedämmt und am besten sollte man auch keinen Handel damit treiben. Das Problem: Bigotterie. Wenn man kein Gas mehr aus Russland möchte, muss man es aus Katar kaufen. Der säkulare Machthaber Assad war böse, aber nun hofiert man dann Nachfolger und Islamist Abu Mohammed al-Dscholani. (Diese Woche hat Baerbock nach 13 Jahren wieder eine deutsche Botschaft in Damaskus eröffnet.) Am Ende nämlich gibt es doch nicht so viele Wertepartner auf der Welt:
Und mit Donald Trump hat eine Realpolitik auf Steroiden begonnen. Alles scheint plötzlich möglich, solange der Preis stimmt. Die Welt gibt es im Sonderangebot.
Diese Ausgabe ist eine geopolitische Rundschau über die aktuellen globalen Konfliktherde und ihre potenziellen Auswirkungen auf die Märkte. Wir starten in der Nachbarschaft:
Türkei
Erdogan hatte 2023 so ziemlich alles erreicht - er war mit dem Gründer der modernen Türkei, Kemal Atatürk, gleichgezogen (zumindest was Dauer und Einfluss betrifft). Die Lira stabilisierte sich, die Inflation kühlte sich etwas ab. Mit der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu ist damit erst einmal Schluss. Die Währung rauschte in den Keller. Die Region um Istanbul steht für knapp die Hälfte der Wirtschaftsleistung des Landes, knapp ein Drittel der Bevölkerung lebt um das Marmarameer. Dort toben derzeit die schwersten Proteste seit Gezi im Jahr 2013. Erdogan wirft seinem Widersacher vor, ein Hochschuldiplom gefälscht zu haben und deswegen gar nicht für das Amt zugelassen sei.
Als „Wertepartner“ gilt die Türkei schon seit langem nicht mehr. Türkische Truppen halten zudem den Norden Syriens besetzt. Trotzdem ist die Kritik an Erdogan derzeit relativ leise. Im Gegenteil: Der EU sei es wichtig, Ankara in der Koalition der Willigen zu halten.
Warum? Die Türkei hat die zweitgrößte Armee der NATO und kontrolliert derzeit die beiden letzten noch funktionierenden Gas-Pipelines von Russland in die EU. Ein wie auch immer gearteter Frieden in der Ukraine kann ohne Ankara nicht stattfinden. Erdogan weiß das, und nutzt die Gunst der Stunde.
In BlingBling steckt viel Arbeit. Wenn Du diese unterstützen willst, freue ich mich über ein Bezahl-Abo! Dafür gibt es Texte wie diesen in voller Länge, Zugang zum Archiv und einmal im Monat einen Investment-Report. Außerdem erhältst Du Zugang zum exklusiven “Subscriber Chat”. Du kannst das auch problemlos einen Monat für sieben Euro testen.
Ukraine
Wer sich durch die deutsche Presselandschaft bewegt, glaubt derzeit folgendes: Trump hat die Ukraine verraten und Europa im Stich gelassen. Putin bedroht das Baltikum und Polen. Europa muss also für den Krieg rüsten.
Worum es wirlich geht: Die EU ist der eigentliche Verlierer dieses Krieges, und muss nun irgendwie gesichtswahrend aus diesem Schlamassel herauskommen. Das geht am ehesten durch martialische Gesten und einem Billionen-Paket. Mehr dazu hier:
Tatsächlich laufen schon seit Wochen zwischen Washington und Moskau Gespräche im saudi-arabischen Riad. Bis zu einem Friedensschluss ist es noch ein weiter Weg, aber es geht in kleinen Schritten vorwärts: eine 30-tägige Feuerpause, Gefangenenaustausch, ein Einstellen der Kämpfe im Schwarzen Meer. Vor allem letzteres wird Auswirkungen auf die internationalen Rohstoffmärkte haben: fallende Preise von Dünger, Weizen, Kohle. Manche russischen Banken werden wieder an das internationale Zahlungssystem SWIFT angeschlossen. Teil eines dauerhaften Friedens wird ein Abkommen über die Ausbeutung der Seltenen Erden sein.
Naher Osten
Der Konflikt ist emotional wie moralisch hoch aufgeladen. So dramatisch das Leid der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten ist - für den Rest der Welt spielt der Konflikt wirtschaftlich eine untergeordnete Rolle. Erst in seinen Ableitungen hat er größeren Einfluss. In der aktuellen Trump-Administration wird derzeit vieles neu gedacht. Dazu gehört auch eine Neuordnung des Nahen Ostens. So absurd der Gedanke von blühenden Landschaften in Gaza auch gerade erscheint - ein Ausgleich mit dem Iran und Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums, der Israels Hightech-Ökonomie, den Energiereichtum der arabischen Halbinsel mit dem Bevölkerungsreichtum des Nahen Ostens kombiniert, ist nicht unrealistisch. Folgendes Interview mit dem Trump-Unterhändler Steve Witkoff ist dazu sehr hörenswert.
Gleichzeitig hat die neue Trump-Administration ihre Unschuld verloren, indem sie die Houthi-Rebellen bombardierte. Die vom Iran unterstützte Schiitenmiliz hat seit Monaten den Schiffverkehr am Eingang des Roten Meeres unterbunden, was insbesondere in Europa zu höheren Preisen führte. Manche Analysten warnen: Die Falken in Washington könnten sich durchsetzen und einen Krieg gegen den Iran beginnen, zu dem Israel seit Jahren drängt. Dagegen spricht: Trump braucht dringend niedrige Ölpreise, um die Inflation zu dämpfen. Dann erst kann die FED die Zinsen senken. Niedrige Zinsen sind notwendig, da die USA dieses Jahr über ein Drittel ihrer Schulden refinanzieren müssen.
Mehr dazu hier:
Arktis
Im Norden des Planeten schwelt seit Jahren ein Konflikt, der erst kürzlich durch Trumps Angebot, Grönland zu kaufen, ins Bewusstsein rückte. Es geht um Öl, Gas, Uran und seltene Erden, die vor allem auf der zu Dänemark gehörenden Insel vorkommen. JD Vance war am Freitag zu Besuch und betonte nochmals:
“We have to have it. And I think we will have it.”
Grönland dürfte Teil der Verhandlungsmasse und des “great deal” mit Russland sein: Moskau erhält in der Ukraine, was es beansprucht (die besetzten Gebiete plus Odessa), die USA erhalten dafür freie Hand in diesem Teil der Arktis. Warum aber ist der hohe Norden plötzlich so interessant geworden?