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@ kulturkolorist
2025-06-15 16:07:44Überblick über die Anthologie
Die Anthologie „365 Tage Frieden“, herausgegeben von Rüdiger Heins und Michael Landgraf, erschien 2025 im Verlag EDITION MAYA. In diesem Werk haben über 100 Autoren ihre Gedanken zum Frieden geäußert und zeigen dabei thematisch wie stilistisch, welche Vielfalt und Komplexität unter diesem Begriff vereint werden kann.
Diese Buchbesprechung geht nicht auf einzelne Beiträge ein, sondern betrachtet die Zusammenstellung und Gesamtwirkung der Texte. Jedem Tag des Jahres wurde ein Text zugeordnet, wobei es keine feste Abgrenzung oder Reihenfolge von Lyrik und Prosa gibt. Das Aufschlagen einer neuen Seite bzw. eines neuen Tages ist stets eine Überraschung, ein Wunder, ähnlich dem Frieden wie einige Autoren meinen.
Die Stimmen der Autoren erreichen den Leser dabei nicht nur aus dem deutschsprachigen Raum, sondern international und als Querschnitt aus unterschiedlicher Perspektiven, Lebensweisen, Erfahrungen, Ängsten und Hoffnungen. Dies beginnt bereits bei der Definition des „Friedens“. Ist es das Schweigen der Waffen; die erbauliche Koexistenz? Ist es die Stille, die in der Andacht der Natur gefunden wird? Ist es innere Gelassenheit? Die thematische Inhomogenität der Texte kann keine klare Antwort finden – doch in dieser Offenheit liegt auch der Reiz, die vermeintlich kleine Gedankenwelt des in der Moderne gehetzt-gestressten Normalbürgers ebenso zu akzeptieren wie die innere Ruhe eines System-Aussteigers, der im Glauben steht, sich den großen Fragen des Universums zu widmen.
Doch zurück fällt das Gros der Texte unabhängig davon immer wieder auf die formelhafte Beschwörung von Harmonie, Liebe und Freiheit und der Wunsch nach Verständnis, Verständigung und einer sicheren Zukunft. Dieser ständige Rückgriff wirkt nicht ermüdend oder altbacken, nicht mit der Gewissheit im Hinterkopf, wie kostbar und leicht zerbrechlich der Frieden ist. Im Vorwort des Buches berichtet Michael Landgraf beispielsweise in einem kurzen historischen Abriss vom aufgezwungenen römischen Frieden über den dreißigjährigen Krieg bis zu den völkerrechtswidrigen Kriegen der Gegenwart. Im Nachwort erinnert Uli Rothfuss daran, welche Aufgabe gerade Autoren in solchen Zeiten zufällt und verstärkt die Erkenntnis, dass Frieden eine Leistung ist, an der alle mitwirken können.
Stil und Wirkung
Die Anthologie stützt sich auf das Abwechslungsreichtum der Beiträge: Hier überwiegen vor allem die lyrischen Werke und Prosagedichte. Es gibt auch vereinzelte Prosatexte, welche aber i. d. R. in ihrer Länge drei Seiten nicht überschreiten. Sprache wie Gattung sind vielfältig: nüchterner Essay, phonetische Sprachspiele, Aphorismen und Akrosticha, von ernst bis augenzwinkernd. Die Gedichte sind überwiegend reimlos und ohne Metrik, selten lösen sie sich ganz vom Schema klassischer Typografie und spielen so mit dem Betrachter. Immer wieder finden sich direkte und indirekte Zitate, die religiösen und philosophischen Schriften entstammen oder Persönlichkeiten zuzuordnen sind, welche sich als Aufklärer, Humanisten und Menschenrechtler einen Namen gemacht haben.
Thematisch sprechen die Autoren sich nicht nur für den Frieden aus, sondern illustrieren zum Teil auch verbal brutal die Schrecken des Krieges, zeigen die Zerstörung, den Schmerz, die Fremde und Einsamkeit. Wir erfahren von Hass, gezüchtet und blühend in den Rabatten. In einem Beitrag heißt es: „Da sah ich das Spiel der Liebe Arm in Arm mit den Drogen zum Dinner flanieren.“
Die Poesie soll uns mahnend im Gedächtnis bleiben und all die Bandbreite fassen; die Sicherheit des Friedens ebenso wie die Verzweiflung über die Sinnlosigkeit des Tötens. Diese Unnatürlichkeit, die uns als fühlende Wesen eigentlich fassungslos hinterlassen sollte, machen die Autoren durch ihre Sprache sichtbar: „Ich habe über den Frieden schreiben wollen, und dann verbrannte ich mich an Grablichtern.“
Fazit: Wie diese Anthologie helfen kann
„365 Tage Frieden“ ist nicht dafür geschrieben, sie wie ein gewöhnliches Buch von vorn bis hinten durchzublättern. Durch ihre Vielstimmigkeit soll sie Hoffnung wecken und mit dem Konzept, jeden Tag einen anderen Text vor sich zu haben, bindet sich der Leser an ein Stück Kontinuität.
Wer es sich zum Ritual machen möchte, jeden Tag einen Moment inne zu halten und einen der kleinen Friedenstexte zu lesen, wird gewiss die Möglichkeit finden, mit Vertrauen in die Zukunft zu blicken und sich gegen Angst zu wappnen. Die auch in zahlreichen Texten beschworenen Schrecken sollen dabei die Wichtigkeit des Friedens verdeutlichen und verschaffen der Reise durch das Jahr bzw. durch das Buch thematische und stilistische Abwechslung.
Der Wunsch nach Frieden und Versöhnung bleibt zeitlos, im Studium der Geschichte finden sich aber markante Punkte und Persönlichkeiten, die wir immer mit den großen Konflikten der Menschheit verbinden. Allgemeine, vergangene wie aktuelle Auseinandersetzungen, z. B. im Gaza-Streifen oder im Ukraine-Krieg kommen zur Ansprache, ebenso wie beispielsweise momentane Entwicklungen in den USA.
Wer dem Frieden eine Stimme geben möchte, kann durch dieses Buch seine Überzeugung stärken und die Stimmbänder emotional wie intellektuell trainieren. Die Schicksale und Beobachtungen der Autoren zeigen, dass wir fortwährend Fürsprecher für eine gemeinsame Zukunft brauchen werden.
365 Tage Frieden
Hrsg. Rüdiger Heins und Michael Landgraf
Verlag EDITION MAYA, 2025
ISBN: 978-3-930758-95-1
Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben.
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