-
@ kulturkolorist
2025-05-05 10:58:49Die Schnelllebigkeit der Moderne tilgt in unserer Wahrnehmung die zeitlichen Abstände von Ereignissen. Es bleibt kaum Gelegenheit ein Thema im Rückspiegel zu erfassen, zu durchdenken, zu rezipieren – schon buhlt der nächste Augenblick um Aufmerksamkeit.
Mögen an die Leipziger Buchmesse Ende März mittlerweile nur noch Visitenkarten und Selfies oder manch signiertes Exemplar im Buchregal erinnern; es lohnt sich doch, die größte deutsche Besuchermesse der Buchbranche nun rückblickend zu betrachten. Gerade da ihr Event-Charakter von Jahr zu Jahr zunimmt, ist die Frage reizvoll, welche beständigen Themen dort wie präsentiert wurden, in diesem Fall natürlich „Frieden“.
An allen vier Messetagen hielt ich die Augen auf, wo sich Autoren, Verlage und allgemeine die Institutionen der Branche dazu äußerten. Vorgreifend muss gesagt werden, dass Krieg und Frieden heute nicht mehr zwingend primäre Themen sind, sondern oft begleitend mitbehandelt werden. Für Zerstörung und Elend scheint dabei immer die große Bühne bereitet zu werden; einvernehmliche Koexistenz wird gewöhnlich mit leiser Klaviatur gespielt. Dennoch fand ich vier Bücher, welche direkt das Thema ansprachen:
- Die norwegische Soziologin und Publizistin Linn Stalsberg stellte ihr Werk „War is contempt for life. An essay on peace“ (ISBN: 978-8282262736, Res Publica, 2024) vor, in welchem sie auf all die Menschen eingeht, die für Pazifismus, Gewaltlosigkeit und Anti-Militarismus einstehen. Ihrer Meinung nach haben wir unzählige Berichte über Kriegs-, kaum jedoch Geschichten von Friedenshelden. Die deutsche Ausgabe soll im schweizerischen Kommode-Verlag im September diesen Jahres erscheinen.
-
„Die Evolution der Gewalt. Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen“, geschrieben von Kai Michel, Harald Meller und Carel van Schaik, wurde für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik nominiert. Die Autoren vertreten u. a. die Thesen, dass Krieg kein essentieller Gesellschaftsprozess ist, wie es einige geflügelte Worte oder ideologische Äußerungen vermuten lassen – und, dass die Erfolge der Bellizisten nur 1 % der Weltgeschichte ausmachen (ISBN: 978-3423284387, dtv, 2024).
-
Der Publizist und taz-Redakteur Pascal Beucker gibt mit „Pazifismus – ein Irrweg?“ (ISBN 978-3170434325, Kohlhammer, 2024) eine Übersicht über die Geschichte des Pazifismus, geht auf in Vergessenheit geratene Hintergründe der einzelnen Motivationen und Bewegungen ein und wagt Zukunftsprognosen über die Erfolgschancen gewaltloser Auseinandersetzungen.
- Neben den Sachbüchern fand sich auch ein Vertreter aus dem Bereich der Belletristik: Rüdiger Heins und Michael Landgraf gaben eine Anthologie mit Friedenstexten, Prosa und Lyrik, heraus: „365 Tage Frieden“ (ISBN: 978-3930758951 Edition Maya, 2025), verspricht der Titel, für den zahlreiche Autoren auf ganz unterschiedliche Art und Weise träumten, sich erinnerten, uns mahnten und weiterhin hoffen.
Ansonsten fanden sich viele kleinere Veranstaltungsformate und Verlage, welche ihr Scherflein beitragen wollten, dabei aber sehr unscharf blieben und beispielsweise im Forum Offene Gesellschaft u. a. Grenzoffenheit, Toleranz und Inklusion behandelten. Inwieweit diese, in jüngster Vergangenheit doch recht stark medial forcierten Themen die zentrale Friedensfrage ergründen und stützen, ist vermutlich Auslegungssache.
Unsere Definition von Frieden mag nicht sonderlich scharf sein; jeder zieht darin andere Grenzen und wird sich situativ nach eigenem Gusto verhalten. Dennoch bewegt uns eine Grundschwingung, führt uns ein Sehnen in eine höhere, gemeinsame Richtung. Diese Erkenntnis ist es wert, durch den Lauf der Geschichte bewahrt zu werden, durch aktuelle Zeugnisse ebenso wie durch die Gedanken derer, die vor uns waren.
Ich habe beschlossen diese Bücher für Sie, werte Leser, in den nächsten Wochen nach und nach zu rezensieren.
Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben.
Not yet on Nostr and want the full experience? Easy onboarding via Start.
Artikel findet man auch auf Telegram unter: